Prof. Dr. Tina Frühauf on the unknown Lewandowski

Tina Frühauf
Dr. Tina Frühauf

Das diesjährige Louis Lewandowski Festival stellt den Namensgeber des Festivals anlässlich seines zweihundertsten Geburtstages in den Mittelpunkt. Es ist einer Reihe von Werken gewidmet, die uns den Reformer der Synagogalmusik näherbringt, den wir zu kennen glauben, der aber ein überaus vielschichtiger Musiker war und recht unterschiedliche Werke komponierte – geistliche und weltliche, vokale und instrumentale, und auch solche, die sich zwischen diesen Kategorien bewegen.

Am wenigsten bekannt ist vielleicht der weltliche Lewandowski und das ausgeprägte Repertoire, das er schuf, bevor er 1844 Chor- und später Musikdirektor an den Berliner Synagogen wurde. Er war im Alter von 12 Jahren, nach dem frühen Tod seiner Mutter, in die preußische Hauptstadt gezogen. Durch eine Fügung des Schicksals wurde er von Alexander Mendelssohn, einem Cousin des berühmten Komponisten, unterstützt. Vermutlich war es diese Verbindung, die dazu beitrug, dass Lewandowski als erster jüdischer Student überhaupt an der Preußischen Akademie der Künste zugelassen wurde (mündlicher Überlieferung zufolge, soll um 1795 noch ein Jude von der Sing-Akademie mit der Begründung abgelehnt worden sein, es sei „mathematisch unmöglich, daß ein Jude componiren könnte“). Im Jahr 1891 wurde er zum Professor an derselben Institution ernannt.

Lewandowski erwies sich in der Tat als vielversprechender Komponist auf dem Gebiet der weltlichen Musik.

Sein Opus 1, das 1852 im A.M. Schlesinger Verlag veröffentlicht wurde, enthält vier Lieder, die dem von seinen Zeitgenossen propagierten romantischen Stil der Liedkompositionen nacheifern. Zu seinen frühen weltlichen Werken gehören auch zahlreiche Lieder für die Berliner Schulkinder, ein lustiges Duett im Operettenstil, Lieder und Instrumentalbearbeitungen. Zu den verlorenen Werken, die nur aus biografischen Schriften bekannt sind, gehören eine Sinfonie in C-Dur, ein Streichquartett in h-Moll und ein Klaviertrio in c-Moll. Einige dieser Kompositionen stammen aus seiner Studienzeit; sie wurden nie veröffentlicht.

Ein Teil dieser weitgehend unbekannten Werke wird im Pre-Opening-Konzert vorgestellt, das Lewandowskis Kammermusik zu Gehör bringt.

Angesichts seiner vollständigen Integration in die Berliner Gesellschaft mag es nicht überraschen, dass wir in seinem Werk patriotische Lieder finden, die von den politischen Ereignissen der Zeit motiviert sind und den Deutschen Bund würdigen, darunter „Die kleinen Alliierten“ op. 7; „Die deutschen Grenzen“, op. 15, und „Hurrah! Die deutsche Fahne den deutschen Helden“, op. 16. Das „Deutsche Landwehrlied“, op. 17, ist besonders erwähnenswert und korreliert mit Wendungen. Lewandowski komponierte es im Jahr 1866, einem sowohl persönlich als auch historisch entscheidenden Jahr. Zum einen trat Lewandowski seine Stelle an der Neuen Synagoge an (er hatte im Jahr zuvor den Titel eines Königlichen Musikdirektors erhalten). Zum anderen war im Juni 1866 der Deutsche, auch bekannt als Preußisch-Österreichischer Krieg, ausgebrochen. Er endete mit einem preußischen Sieg, der die Auflösung des Deutschen Bundes zur Folge hatte. Der Text von Lewandowskis Lied reflektiert die Kriegszeit, den Eifer, das Vaterland zu verteidigen, und den Optimismus, über Österreich zu siegen, sowie die Angst vor Frankreich, einem Land das diesem Krieg letztendlich nicht beitrat. Musikalisch ist das Stück einfach, wobei der Klavierpart mit prägnanten, sich wiederholenden Rhythmen und Fanfaren einem Militärmarsch ähnelt. Die Gesangsstimme ist lyrisch; sie folgt den Melodien der Romantik mit leichter Chromatik. Als die deutschen Juden 1871 in der Verfassung des Zweiten Reiches rechtlich gleichgestellt wurden, verstärkte sich ihre Bindung an Deutschland als Reich und Nation. Lewandowskis Opus 16 und Opus 17 wurden im selben Jahr veröffentlicht.

Im Laufe seines Lebens veröffentlichte Lewandowski hunderte von Kompositionen,
von denen viele in Kol Rinnah u’T’fillah von 1871 und den beiden Bänden mit liturgischen Kompositionen für Chor, Kantor und optionaler Orgel Todah W’simrah von 1876 bzw. 1882 enthalten sind. Diese Anthologien enthalten auch seine bekannteste geistliche Musik; dennoch sind viele Stücke des liturgischen und paraliturgischen Repertoires immer noch kaum bekannt. Das Louis Lewandowski Festival präsentiert diese Werke in Form einer Kantate, ein Genre, das der Komponist selbst nutzte und schätzte.
Diese Huldigungskantate bietet ein Panorama der vielen Facetten Lewandowskis. Sie enthält selten gehörte liturgische und paraliturgische Stücke wie „Tow l’hodoss“ und die Vertonungen der Psalmen 21 („Königs-Psalm“), 67 und 144. Sie präsentiert den Psalm 121 aus einer Hochzeitsmusik, der als Segen für die Gemeinde gedacht ist. Durch die Einbeziehung von „Ki k’schimcho“, kommentiert die Kantate Lewandowskis Wurzeln in der damals preußischen Stadt Wreschen (heute Września, Polen) sowie den Einfluss des Oberkantors Abraham Jakob Lichtenstein, der ein entschiedener Verfechter des osteuropäischen Stils war. Dass Lewandowski sich auch der Orgel als Synagogeninstrument öffnete, zeigt sich in seiner Konzeption von Begleitungen und Solowerken. Seine Hinwendung zu diesem Instrument ist besonders erwähnenswert im Hinblick auf das Jahr 2021, das in Deutschland als Jahr der Orgel begangen wird.

Einen Eindruck von Lewandowskis offener, gar progressiver Gesinnung gibt das Oratorium
mit dem „W’hakkohanim“, in dem die Orgel eine melismatische Melodie im Duett mit dem Kantor darbietet – wahrlich eine Emanzipation der Orgel. Die Aufnahme von zwei Liedern aus seinem Opus 1 offenbart den kreativen Geist des jungen Lewandowski und seine einzigartigen Vertonungen von Ferdinand Freiligraths Übersetzung von Thomas Moores Gedicht „Willst du kommen zur Laube“ und dem Liebeslied „In deinem Arm“. Lewandowskis Verschmelzung von jüdischer und deutscher Kultur und Kompositionsstilen der Romantik beeinflusste schließlich auch ausgewählte liturgische und paraliturgische Werke, wie die bekannte und beliebte „Deutsche Keduscha“ sowie die Auszüge aus einer seiner drei Hochzeitsmusiken, „Segne, Allmächtiger“ und „Zu dir, o Herr“.
Die Huldigungskantate unterstreicht, dass Lewandowski gleichzeitig als Komponist weltlicher und geistlicher Musik tätig war – ein Zeugnis seines Lebens in parallelen Welten. Mit diesen Stücken, die in einem Metawerk vereint sowie solche, die über das gesamte Festival verteilt sind, erhalten wir ein umfassenderes Bild von Lewandowskis Kreativität und Leistung, als bislang gewürdigt. So spiegelt sein Werk die sich entwickelnde Weltanschauung der Juden in Deutschland in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wider.

Tina Frühauf