Südsterne
200 Jahre Synagogalmusik
in Süddeutschland
Louis Lewandowski Festival 2019
Jüdische Kultur in Süddeutschland: Eine Überraschung für Viele
Wenn man an Süddeutschland denkt, kommen einem wahrscheinlich als erstes Bier, Dirndl und Lederhosen in den Sinn. Weniger bekannt ist jedoch die reiche jüdische Kultur, die ebenfalls tief in dieser Region verwurzelt ist. Besonders bemerkenswert ist dabei die Entwicklung der modernen Synagogalmusik, die hier ihre Wurzeln hat.
Maier Kohn: Pionier der Synagogalmusik
Eine zentrale Figur in dieser Entwicklung war der Chasan, Sänger und Musikologe Maier Kohn (1802–1875). Noch bevor Louis Lewandowski, nach dem heute ein bekanntes Festival benannt ist, seine Werke veröffentlichte, brachte Kohn im Jahr 1839 die erste moderne Sammlung von Synagogengesängen heraus. Diese sogenannte „Münchener Gesänge“ war eine umfassende Überarbeitung traditioneller Stücke. Unterstützt von namhaften Komponisten wie Ett, Hartmann und Naumbourg stellte Kohn diese Sammlung für die Synagoge in der Münchener Westenriederstraße zusammen, in der er seit 1832 den ersten Synagogenchor der bayerischen Hauptstadt leitete. 1843 wurde Kohn schließlich zum Gemeindekantor ernannt, während er nebenbei mit seiner Frau ein Erziehungsinstitut für jüdische Mädchen betrieb.
Eine Balance zwischen Tradition und Erneuerung
Kohns Gesangssammlung erregte großes Aufsehen. Bereits im März 1838 berichtete die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ über die Reformen der Münchner Synagoge, die eine neue Richtung einschlugen. Die Einführung eines deutschen, teilweise hebräischen Gottesdienstes war ein mutiger Schritt. Die Zeitung hob hervor, dass diese Reformen eine Balance zwischen den liberalen und konservativen Strömungen des Judentums herstellen sollten. Der Gottesdienst sollte sowohl den traditionsbewussten, älteren Gemeindemitgliedern als auch der jüngeren Generation gerecht werden, die sich eine modernere Form des Gebets wünschte.
Die Rolle des Chores im Gottesdienst
Ein zentrales Element dieser Neuerungen war die Einführung eines Chores, der bei den Responsionen und Gesängen die Gemeinde vertrat. Dieser Chor war jedoch nicht nur zur Unterhaltung gedacht, sondern sollte die Gemeinde dazu anregen, gemeinsam in schöner, herzerhebender Harmonie zu beten. Die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ betonte, dass der Chor eine wichtige Rolle dabei spielte, die Gläubigen zur aktiven Teilnahme am Gottesdienst zu bewegen, anstatt sie lediglich zu unterhalten.
Die Verbreitung der neuen Musik
Die Veränderungen in München blieben nicht auf die Stadt beschränkt. In den folgenden Jahrzehnten wurden die neuen musikalischen Traditionen auch in anderen großen jüdischen Gemeinden Süddeutschlands, wie in Fürth, Mannheim, Wiesbaden und Frankfurt, eingeführt. Kantoren und Musikdirektoren dieser Städte boten den Gläubigen ebenfalls Neues und trugen so zur Verbreitung der modernen Synagogalmusik bei.
Insgesamt zeigt sich, dass Süddeutschland nicht nur für Bier und Trachten bekannt ist, sondern auch eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der jüdischen Kultur gespielt hat. Die Reformen von Maier Kohn und anderen Pionieren der Synagogalmusik haben die jüdischen Gottesdienste in der Region nachhaltig geprägt und eine Tradition geschaffen, die bis heute fortbesteht.
Judith Kessler