BEMERKUNGEN ZUR AUFFÜHRUNG VON BALAK UND BILAM

Von Sam Adler

Nachdem er seinen Militärdienst im Ersten Weltkrieg beendet hatte, studierte mein Vater, Hugo Adler – Komponist von Balak und Bilam, an der Universität Köln sowie an der Musikhochschule in Frankfurt. Er schloss sein Studium mit einem Diplom in Klavier, Stimmbildung und Komposition ab, wobei er seine Stelle als Lehrer in der Kleinstadt St. Wendel behielt. 1921 wurde er zum Zweiten Kantor an der Jüdischen Gemeinde Mannheim berufen. In der Hauptsynagoge amtierten drei Kantoren und zusätzlich zu seinen Kantoratspflichten wurde mein Vater gebeten, mit Organisten und Chor zusammenzuarbeiten, um die Qualität der musikalischen Darbietung aufzuwerten.

Hugo Adler als musikalischer Rebell

Er war von Natur aus ein „musikalischer Rebell“, dem die traditionelle Musik in der Synagoge nicht zusagte, da es sich ausschließlich um Musik des 19. Jahrhunderts handelte, geschrieben von Organisten, die der Mannheimer Gemeinde in den letzten 70 Jahren ihrer Existenz gedient hatten. Ausgestattet mit den Kenntnissen der „modernen“ Harmonielehre, machte er sich daran, die bestehende Musik mit dem Ziel zu verändern, sie jüdischer und harmonisch interessanter klingen zu lassen.

Die Gemeindemitglieder, insbesondere der Synagogenvorstand, waren über diese Modifikationen erzürnt und drohten, ihn nach zwei Jahren zu feuern. Zu diesem kritischen Zeitpunkt in seinem Leben lernte er eine wunderschöne Frau kennen und entschied sich, sie zu heiraten. Günstigerweise war ihr Vater Mitglied des Gemeindevorstands und einen Schwiegersohn eines Vorstandmitgliedes zu feuern, schien ein kompliziertes Unterfangen zu sein. Infolgedessen erhielt Hugo Adler, als der zweite Kantor lediglich eine Abmahnung und wurde nur dazu aufgefordert, in Zukunft nie wieder traditionelle Musik zu ändern. Unter dem wohlwollenden Einfluss seiner Braut stellte er seine Aktionen ein und komponierte fortan seine eigene Musik, anstatt die alte zu ändern. Er folgte ihrem Ratschlag und suchte nach einem breiter angelegten Projekt.

Hugo Adlers Lehrkantaten

Zu diesem Zweck schloss er sich mit Oberrabbiner Dr. Max Grünwald zusammen, um eine Reihe von Werken zu komponieren, die sie „Lehrkantaten“ nannten. Sie handelten von biblischen Themen und hatten zum Ziel, das Publikum mit wichtigen Geschichten vertraut zu machen, aus denen man zusätzlich Lehren ziehen konnte. 1929 resultierte ihre Zusammenarbeit in der Komposition einer Chanukka-Kantate mit dem Namen „Licht und Volk“, die mit großem Erfolg im größten Festsaal in Mannheim, dem Musensaal im Rosengarten, aufgeführt wurde. Ausführende waren der Liederkranz, der aus Mitgliedern des Synagogenchors bestand, der Hohe-Feiertage-Chor und der Jugendchor zuzüglich Orchester und Orgel.

Nach der Machtübernahme entstand der Kulturbund

Als nach der Machtübernahme durch die Nazis im Jahre 1933 professionelle jüdische Musiker ihre Stellungen in Orches- tern, Opernhäusern und anderen professionellen Ensemblen verloren, wurde in allen wichtigen Städten Deutschlands die Kulturbundbewegung gegründet. Diese gab jüdischen Künstlern eine Anstellung, die wegen der Rassengesetze ihre Arbeit verloren hatten, und förderte u.a. Opern, Konzerte und Theateraufführungen.

Balak und Bilam sind ein großer Erfolg

1933 war Hugo Adler bereits zum Oberkantor der Hauptsynagoge Mannheims befördert worden und hatte sich als bedeutender Komponist von Synagogal- und Konzertkompositionen einen Namen gemacht. Im Jahre 1934 schrieb er seine erfolgreichste Lehrkantate, Balak und Bilam, die zwischen 1934 und 1938 über 30 Mal in vielen Städten aufgeführt wurde. Hierzu gehörten Aufführungen in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin und 1936 in Jerusalem, ausgestrahlt von „BBC Palestine“, sowie in mehreren anderen Städten einschließlich Tel Aviv. Aufgrund der engen Freundschaft meines Vaters mit Martin Buber wurden Texte der Buber-Rosenzweig Bibelübersetzung und der speziell von Buber angefertigten Übersetzung von Psalm 144 benutzt.

Wegen des Erfolgs von Balak komponierte mein Vater weiterhin für den Kulturbund, einschließlich einer 1937 geschriebenen Kantate über die „Opferung Isaaks“ mit dem Namen „Akeda“, deren Premiere im März 1938 in Stuttgart stattfand. Im „Lernteil“ des Werkes wurde das „Beinahopfer“ Isaaks mit der Verfolgung der Juden in Deutschland verglichen. Alles erfolgte auf sehr geschickte verklausulierte Weise, sodass der Zensor den Bezug auf die damalige Zeit nicht verstand und den Text genehmigte.

„Balak und Bilam“ Partituren verbrannt

Jedoch musste eine weitere Person im Büro des Zensors den Text gelesen haben, da 1938 die SS zur Kostümprobe erschien und die Aufführung des Werkes untersagte. Dabei wurden die gesamten Partituren verbrannt. Es war das letzte Mal, dass ein Werk meines Vaters auf einem deutschen Spielplan stand.

Emigration und „Balak und Bilam“ auf Englisch

Ein Jahr nach unserer Emigration in die USA wurde mein Vater zum Musikdirektor und Kantor am Temple Emanuel in Worcester, Massachusetts, ernannt. Dort schrieb er Balak ins Englische um. Die englische Fassung unterscheidet sich von der deutschen Version an vielen Stellen. Die Aufführung anlässlich des Lewandowski-Festivals 2019 spiegelt die be- schränkten Möglichkeiten der früheren Aufführungen wider, da die Kulturbund-Orchester recht klein waren.

Ich hoffe, dass die Aufführung der Werke meines Vaters Hugo Adler und der Werke Heinrich Schalits das Interesse an den größeren Werken, die damals von vielen Komponisten vor allem für den Kulturbund geschrieben wurden, wecken und eine Wiedergeburt erfahren werden.

A NOTE TO ACCOMPANY FROM BALAK AND BILAM BY SAM ADLER

Von Sam Adler

After completing his army service during World War I, my father, Hugo Adler – composer of Barak and Bilam, studied at the University of Cologne as well as at the Musik-Hochschule in that city. He graduated with a degree in piano, voice and composition while retaining a ‘Lehrer’ position in the little town of St. Wendel. In 1921, he was called to the position of second cantor in Mannheim. There were three cantors at the Hauptsynagoge and besides cantorial duties, he was asked to work with the organist and choir to upgrade the quality of the musical performance.

Hugo Adler ‘musical rebel’ by nature

He was by nature a ‘musical rebel’ and found the traditional music used at this synagogue not to his liking since it was all music of the 19th century written by organists who had served the Mannheim congregation during the past 70 years of its existence. Equipped with his new knowledge of ‘modern’ harmony, he started to change the existing music so that it would sound more jewish as well as harmonically more interesting.
The members of the congregation especially the board were incensed by his actions and threatened to fire him after two years. It was at this crucial period of his life that he met a beautiful woman who he decided to marry. Her father conveniently was a member of the synagogue board and to fire the son-in-law of a board member became a bigger problem. As a result, this second cantor was only given a reprimand and simply told never to alter any of the traditio- nal music in the future. With the good influence of his new bride he stopped his actions and she instead convinced him to write his own music rather than alter the old.

Hugo Adler´s Lehrkantaten

He followed her good advice and looked to larger project teaming up with the senior rabbi Dr. Max Grünewald to write a series of works they called Lehrkantaten. These works written on Biblical subjects to teach the audiences about im- portant stories with added lessons drawn from them. In 1929 they cooperated to create a Chanukah Cantata called LICHT UND VOLK which was very successfully performed in the largest venue of the city of Mannheim, the Musensaal in the Rosengarten. It was a tremendous success and performed all over Germany. The forces were the Liederkranz made up of the Synagogue choir, the High Holiday choir and the youth choir plus an orchestra and organ.

After the Nazis came to power, the Kulturbund was founded

In 1933 after the Nazis took over power in Germany and professional jewish musicians and singers were dismissed from orchestras, opera companies and other professional musical ensembles, the Kulturbund movement was founded in all the major cities of Germany. The Kulturbund organization employ- ed the musicians who had lost their jobs because of the racial laws and sponsored seasons of concerts, operas, dramas etc.

Balak and Bilam – a tremendous success

By 1933 Hugo Adler had been promoted to Oberkantor of the Hauptsynagoge and had established himself as a major composer of both Synagogue and concert music. In 1934, he wrote his most successful Lehrkantate BALAK UND BILAM which was preformed from 1914 to 1938 over 30 times in many cities including in 1934 in Berlin’s Oranienburger Syn- agoge and in 1936 in Jerusalem in Hebrew over the Pales- tine BBC as well as in several other cities including Tel Aviv. Because of my father’s close friendship with Martin Buber, he used the Buber-Rosenzweig German translation of the Bible for the text of the cantata and the special Buber translation of the Psalms for the 44th Psalm. Because of the success of Balak, my father continued to write music for the Kuturbund including in 1937 a cantata on the Binding of Isaac called Akedah to be premiered in Stuttgart in March of 1938. This work was written again with the cooperation of Max Grüne- wald, and in the ‘learning’ part of the work, compared Isaac’s near sacrifice with the persecution of the Jews of Germany. It was done very cleverly disguised so that the censor did not catch the inference and passed the text.

Balak and Bilam scores confiscated and burned

However, someone in the censor office must have reread the text and the SS came to the dress rehearsal in 1938 and forbade the work to be performed, confiscating all scores and parts and burning them. It was the last time a perfor- mance of my father’s works in Germany was scheduled and a year after that we had emigrated to the United States where he became cantor and music director at Temple Emanuel in Worcester MA and where he rewrote Balak in English with many changes from the German version.
The performance at the Lewandowski Festival 2019 however presents the original version with the limited forces that the earlier performances faced since many of the Kulturbund orchestras were quite small in size. I am hoping that the performance of my father’s and Heinrich Schalit’s works will renew interest in the larger works written especially for the Kulturbund by so many composers at that time so that these will enjoy a renewed life.