Eine DDR-Briefmarken-Geschichte

Unter den 62 Sondermarken, die der letzte Briefmarken-Jahrgang der damaligen DDR umfasste, gehören auch zwei, die dem Wiederaufbau der Neuen Synagoge gewidmet waren.

Die eine zeigte ein Bildnis der Neuen Synagoge, das sich im Besitz der Ostberliner Jüdischen Gemeinde befand (Auflage vier Millionen Exemplare), die andere ein Porträt von Louis Lewandowski (acht Millionen Exemplare).
Bald nach ihrem Entstehen (Sommer 1988) hatte sich die Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum um Sonderbriefmarken bemüht, aber die Bemühungen waren nicht von Erfolg gekrönt; es schien sogar hoffnungslos. Mitten in den gewaltigen Veränderungen des Jahres 1989 – das genaue Datum ist mir nicht mehr erinnerlich – rief mich der für Briefmarken Zuständige des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen an und teilte mit: „Herr Doktor, wir können jetzt die Briefmarken machen.“

Ersttagsbrief Stiftung Neue Synagoge Berlin 1990 Bild: Klaus Riplinger

Ich war etwas verdutzt, hatten wir doch in jenen aufregenden Tagen und Monaten ganz andere Dinge im Kopf, fragte aber nach dem Grund und erhielt wie selbstverständlich folgende Antwort: „Es sind mehrere Motive ausgefallen.“ Eine spätere Nachfrage ergab, es handelte sich um das Motiv „Parlament der FDJ“ und ein weiteres zu einem Jahrestag der NVA. So war es nun an uns, Motive für die Sondermarken vorzuschlagen.

Mit der damaligen Leiterin der Abteilung Jüdisches Museum im Berlin Museum, Vera Bendt, war ich mir einig, dass das 1868 entstandene Ölgemälde von Lewandowski, das das Museum erst kurz zuvor erworben hatte, auf die Briefmarke gehört.

Alles veränderte sich so schnell, dass niemand mehr bemerkte, dass ein Kunstwerk aus dem Besitz eines Westberliner Museums auf einer ostdeutschen Briefmarke abgebildet war; vermutlich ein singuläres Ereignis. Beide Briefmarken – das Synagogenbild und das Porträt Lewandowskis – wurden von der Berliner Grafikerin Gudrun Lenz entworfen und erschienen am 18. September 1990.

Noch gab es die DDR, aber die Währungsunion war bereits hergestellt. Die Synagogenmarke hatte einen Wert von DM 0,50 (plus Spendenaufschlag von 0,15), Lewandowski von DM 0,30. Als Druckerei hat die nunmehr „Deutsche Post“ auf den vollständigen Bögen „Wertpapierdruckerei Leipzig“ angegeben.
Auf dem Ersttagsbrief war das Ewige Licht der Neuen Synagoge abgebildet, das im Oktober 1989 bei systematischen Enttrümmerungsarbeiten in einer im Krieg eingebrachten Trümmerschutzdecke gefunden worden war.

Dr. Hermann Simon

Erstmals leicht verändert erschien in:
Jascha Nemtsov / Hermann Simon:
Louis Lewandowski, „Liebe macht das Lied unsterblich!“
Berlin 2011 [Jüdische Miniaturen Band 114]
Mit freundlicher Genehmigung von Nora Pester;
Inhaberin von Hentrich&Hentrich, Leipzig und Berlin.

Foto: Klaus Riplinger