Louis Lewandowski
und Rest der Welt
Louis Lewandowski Festival 2017
Gedenken nach dem Holocaust
Zwei Monate nach der deutschen Kapitulation und dem Ende des Holocausts versammelten sich etwa zweihundert Menschen zu einer Gedenkfeier im britischen Sektor Berlins. Der Ort der Zusammenkunft war die Synagoge Pestalozzistraße, die nach den Zerstörungen des Krieges teilweise wiederhergestellt worden war. Ein amerikanischer Soldat beschrieb den Gottesdienst in einem Brief an seine Frau als „extrem beeindruckend“ und betonte, dass „alle weinten“ und ein Mann das ewige Licht entzündete. Die Zeremonie begann mit Lewandowskis „Schehechejanu“, einem Segen, der von Oberkantor Leo Gollanin, einem Überlebenden des Krieges, vorgetragen wurde.
Die Bedeutung der Musik
Während des gesamten Gottesdienstes erklang Musik auf einem Harmonium. Der amerikanische Soldat bemerkte, dass die Musik einen „unverkennbaren Versuch, zu den alten Zeiten zurückzufinden“ darstellte. Mit den „alten Zeiten“ meinte er die Ästhetik der Zeit vor Weimar, die stark von den Werken Louis Lewandowskis geprägt war. Lewandowski, einer der einflussreichsten Komponisten der Synagogenmusik des 19. Jahrhunderts, hatte durch seine Tätigkeit als Lehrer in Berlin einen nachhaltigen Einfluss auf den westlich-aschkenasischen Stil. Seine Werke wurden auch nach seinem Tod im Jahr 1894 weiterhin in jüdischen Gemeinden in ganz Europa und darüber hinaus rezipiert.
Lewandowskis Erbe und seine Verbreitung
Lewandowskis Musik, tief verwurzelt in den Ideen der Haskalah, verband in einzigartiger Weise ästhetische und religiöse Aspekte. Diese Balance sicherte ihm auch im 20. Jahrhundert, trotz einer schwächeren Rezeption, einen fortdauernden Einfluss. In der Zwischenzeit erreichte seine Musik auch die Neue Welt, wo sowohl aschkenasische als auch einige sefardische Synagogen ausgewählte Stücke adoptierten. Lewandowski wurde nicht nur in Europa gehört, sondern auch in entlegeneren Orten wie dem Ghetto von Schanghai, Japan und Australien.
Neubelebung nach 1945
Nach 1945 erlebte Lewandowskis Musik eine erneute Präsenz in der Nachkriegslandschaft Berlins und des geteilten Deutschlands. Die Synagoge Pestalozzistraße übernahm den Lewandowski-Gottesdienst aus der Neuen Synagoge Oranienburger Straße. Viele Gemeinden ohne Kantor oder Chor, wie es im Nachkriegseuropa häufig der Fall war, konnten Lewandowski über den Rundfunk hören, dank Sendungen, die 1946 von Adolf Schwersenz für den Berliner RIAS initiiert wurden. Diese Sendungen wurden später auch von anderen Stationen übernommen. Ebenso wurde der Brauch der Synagogenkonzerte in der Nachkriegszeit wieder aufgenommen, wobei Lewandowskis Werke selbstverständlich auf dem Programm standen.
Fortdauerndes Erbe
Durch ihre Präsenz in Konzerten spielte Lewandowskis Musik eine bedeutende Rolle beim Aufbau eines interreligiösen Dialogs und des gegenseitigen Verständnisses zwischen sehr unterschiedlichen Publikumsgruppen. Die fortwährende Gegenwärtigkeit von Lewandowskis Musik in verschiedenen Kontexten zeigt sein ungebrochenes und sogar erweitertes Erbe. 1952 fragte Magnus Davidsohn, der ehemalige Oberkantor der Berliner Fasanenstraßen-Synagoge, ob Lewandowskis Werk weiterhin Bestand haben werde. Die Gründung des Louis Lewandowski Festivals im Jahr 2011, das jährlich das Erbe des Komponisten feiert, gibt eine klare Antwort: Seine Bedeutung ist bis heute ungebrochen.
Prof. Dr. Tina Frühauf