Über die Musik des 10. Louis Lewandowski Festivals

Von Regina Yantian

In diesem Jahr feiern wir unser 10. Louis Lewandowski Festival. Wer hätte gedacht, dass gerade dieses wunderbare Jubiläum so viel Einschränkung, Flexibilität in der Planung und konkreten Vorbereitung einfordern würde. Alle Chöre, die wir für diesen besonderen Anlass eingeladen hatten, müssen nun leider zuhause bleiben.

Deshalb haben wir uns entschieden, alle Konzerte mit fantastischen Musikern aus Berlin zu gestalten. Das Synagogal Ensemble Berlin als gastgebendes Ensemble in unterschiedlichen Besetzungen mit Berliner Kantoren, unserem Festivalorganisten Jürgen Geiger, den Berliner Symphonikern unter dem Dirigat von Gad Kadosh, dem Saxofonquadrat und dem Lewandowski Streichquartett. Wir möchten unserem Publikum, online denn leider sind Gäste während der Konzerte in diesem Jahr nicht zugelassen, in unseren Konzerten, Synagogalmusik aus vielen verschiedenen jüdischen Zentren und aus unterschiedlichen Epochen präsentieren.

Außerdem haben wir für die Eröffnung in der Nikolaikirche in Potsdam wieder ein zeitgenössisches Oratorium aus Israel geplant: Shacharit (2018) von Ella Milch-Sheriff.

Eine Reise in die Geschichte der Synagogalmusik anhand der vergangenen Louis Lewandowski Festivals.

Beginnen wir mit Louis Lewandowski (1821-1894), dem Namensgeber unseres Festivals, der im 19. Jahrhundert mit seinen beiden Werken der Synagogalmusik Kol Rinnah u T´flillah und Todah we Simrah erstmals traditionelle Gebetsmelodien mit modernen Arrangements ganz im Stil des 19. Jahrhunderts versah und für Kantor, Chor und Orgelbegleitung.

Seine Musik prägte nicht nur den Gebetsstil in liberalen wie orthodoxen Synagogen Berlins und des deutschsprachigen Raumes, sondern übte ihren Einfluss bereits im 19. Jahrhundert auf viele andere kulturelle Zentren in Europa aus, wie auch im 20. Jahrhundert in Israel und den USA.

Im 19. Jahrhundert war die Entstehung einer neuen Synagogalmusik eng verbunden mit der Emanzipation und der gesellschaftlichen Gleichberechtigung der Juden. Ein ähnliches Phänomen gab es bereits vorher zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in der kleinen italienischen Stadt Mantua, in der Juden zwar in ihrem Stadtteil (Ghetto) wohnen mussten, sich jedoch am Tag frei in der nichtjüdischen Gesellschaft bewegen und arbeiten konnten.

Salamone Rossi (1670-1728), der als Musiker und Komponist am Hofe von Mantua wirkte, schrieb im Laufe von vier Jahrzehnten zahlreiche Instrumental- und Vokalwerke mit weltlichen Texten. Und er war der erste jüdische Komponist, der eine Sammlung von 33 Motetten mit hebräischen Gebetstexten herausgab. Hierzu gehören das Adon Olam als Beispiel der in Italien entwickelten Mehrchörigkeit und Keter, die sefardische Bezeichnung der Keduscha (Heiligung) in einem polyphonen Stil. Wir bringen beide Werke Rossis zur Aufführung.

War Berlin mit Louis Lewandowski das Zentrum der Synagogalmusik und Vorbild für Komponisten, die den Geist der Erneuerung in ihren Kompositionen verwirklichen wollten, so ist im gleichen Atemzug Salomon Sulzer (1804-1890) (Adon Olom) in Wien und später Max Löwenstamm (1814-1881) (Adon Olom und Howu Ladonoj) in München zu nennen. Salomon Sulzer war der erste Chasan (Kantor) im modernen Europa, der durch seine außerordentlichen musikalischen, intellektuellen Leistungen sowie sein Charisma bestach. Viele Kantoren aus ganz Europa reisten zu ihm, um bei ihm zu lernen.

Sulzers Reformen waren Inspiration für Samuel Naumbourg (1817-1880) in Paris wie auch für Komponisten der sogenannten „Chorschultradition“ in Osteuropa, unter anderem mit Zentrum in Odessa. Werke aller vorgenannten Komponisten werden zu hören sein. Naumbourg, ausgestattet mit einer soliden Ausbildung in traditionellen Gesängen aus Süddeutschland und Wien, verband diese mit den Einflüssen der französischen Kunstmusik und Oper zu einzigartigen Kompositionen, zu hören in dem Stück Etz Chaim beim Einheben der Tora.

Auch in der osteuropäischen Chorschulmusik findet sich eine Weiterentwicklung des Musikstils aus Wien und Berlin. Wir erleben höchst emotionale und romantische Musik für Kantor, Chor und Orgel, die sich einerseits an der traditionellen Gottesdienstmusik orientiert, andererseits sie mit „russischer Seele“ durchdringt und weiterentwickelt. Beispiele hiervon sind in den Konzerten mit Adon Olom von Abraham Dunajewski (1843-1911) und Adonoi Z´choronu von David Nowakowski (1848-1921) zu hören.

Aus dem 20. Jahrhundert können wir uns an einem Adon Olam von Paul Ben-Haim (1897-1984) erfreuen, ehemals bekannt als Paul Frankenburger aus München, der durch seine Beschäftigung mit den Einflüssen verschiedener, auch orientalischer Volksmusiken, eine neue moderne israelische Musik schuf.

Zuletzt wenden wir uns zweier zeitgenössischer Komponisten aus den USA zu. Das Adon Olam von Charles Davidson (*1929), in dem er den Text mit jazzigen Motiven unterlegt und den zwei wohl populärsten Vertonungen von Meir Finkelstein (*1951), L´Dor wa Dor und Awinu Schebaschamaim, die weit über die Grenzen der Synagogen bekannt geworden sind.

Ich wünsche allen Konzertbesuchern, die Vielfalt synagogaler Musik zu genießen

Ihre Regina Yantian