Über das  Oratorium "Shacharit"

von Ella Milch-Sheriff

Shacharit – Morgendämmerung (2018) Die israelische Komponistin Ella Milch-Sheriff über ihr Werk Shacharit – Oratorium für Sopran und Bariton solo, gemischten Chor und Kammerorchester, dessen deutsche Uraufführung am 17. Dezember 2020 in der Nikolaikirche in Potsdam stattfinden wird.

Die Motivation, Shacharit zu komponieren, kam mir nach Jahren des Zuhörens und dem Genuss der schönen liturgischen Werke, die auf christlichen Gebeten basieren. Mir wurde klar, dass auch das israelische Publikum – selbst das religiöse – diese Werke liebte, natürlich vor allem dank der großartigen Musik. Um die Wahrheit zu sagen, ich war eifersüchtig, und ich dachte, warum sollte nicht auch ich einmal versuchen, ein Werk auf der Grundlage von Texten jüdischer Gebete zu komponieren, Musik, die leicht und schön klingen sollte, die eher für den Konzertsaal als für die Synagoge bestimmt ist.

Ich bin nicht der erste jüdische Komponist*in, die diesen Versuch unternommen hat. Schon viele jüdische und israelische Komponist*innen haben Werke auf der Basis jüdischer liturgischer Texte geschaffen, aber warum auch immer werden die meisten dieser Werke nicht sehr oft gehört.

Um einen Anfang zu haben, beschloss ich, mit dem Morgengebet zu beginnen und wählte den gemeinsamen Text, den jeder religiöse Mensch, der aufsteht, morgens sagt: „Ich danke Dir, Herr, dass Du mir meine Seele in Barmherzigkeit zurückgegeben hast“. So fand ich viel Gemeinsames zwischen dem jüdischen Gebet, das den Ewigen in jeder Hinsicht preist, und dem christlichen Gebet, das dasselbe auf seine Art tut.

Die wunderbare Einzigartigkeit in meinen Augen ist die hebräische Sprache, die Sprache des Gebets und der Bibel – reich, poetisch und bewegend. Es gibt keine Entsprechung, die die Schönheit des Verses in der hebräischen Sprache „Gleich einem Hirsch der sich nach den Wasserstraßen sehnt“ wiedergeben kann. Ich wählte Passagen, Sätze und Worte aus dem Morgengebet und schrieb ein sechssätziges Werk. Die Auswahl ist persönlich und hat wenig mit der religiösen Bedeutung des einen oder anderen Satzes zu tun. Ich habe mir erlaubt, Wörter und Sätze wegzulassen, was die ursprüngliche Bedeutung des Textes hier und da verändern kann.

Es ist eben, wie gesagt, ein sehr persönliches Werk, das von mir, einer säkularen israelisch-jüdischen Komponistin, geschaffen wurde. Und so hoffe ich, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer meine persönliche Interpretation des „Morgengebets“, die eher für den Konzertsaal bestimmt ist, verständnisvoll und mit einem Lächeln annehmen. Das Werk wurde von der Israel Camerata Jerusalem in Auftrag gegeben und 2018 in Tel Aviv uraufgeführt.

Die sechs Sätze sind:

  1. Ich danke Dir
  2. So viele Öffnungen und so viele Höhlen
  3. Die Seele, die du mir gegeben hast, ist rein
  4. Öffne die Augen der Blinden
  5. Als dem Hirsch nach Strömen von Wasser war
  6. Lobet den Ewigen, oh meine Seele